EXHIBITION SKULLS

 

Der politische Philosoph Dr. Peter Seyferth analisiert in seiner Eröffnungsrede zur Ausstellung SKULLS das Objekt/die Bilder von Lucca M (Heinz Morstadt). Auszug.

 SKULL Webseite

Heinz Morstadt, vielen in der Kunstszene bekannt als Lucca M, wählte einen ganz besonderen Weg. Als er vom Thema “Skulls“ hörte, war seine erste Reaktion: „Das mach ich nicht – ich male lieber was Schönes“. Und doch sehen wir hier zehn Bilder hängen. Wie kann das sein? Städte, Frauen, Flächen – sie kennt man aus den bisherigen Arbeiten von Lucca M. Die Schädel zwingen ihm daher keinen Tod und keine Hässlichkeit in die Gemälde. Vielmehr lässt sich gut eine stilistische und motivische Kontinuität seines Schaffens beobachten. Der Einsatz von Sprühtechnik, Farbverläufen und dreidimensionalen Objekten wie z.B. Platinen ist schon von früheren Arbeiten bekannt.

 

Sehen Sie sich etwa den doppelten Köpfer links unten an. Das sind nicht etwa zwei Geköpfte – auch wenn gerade ihre Köpfe nicht zu sehen sind, so sind sie doch quicklebendig in ihrem Kopfsprung. Was tot ist, ist das Meer, in das sie springen. Der häufig wiederholte Totenkopf im blauen Nass symbolisiert hier das in geringer Dosierung lebenswichtige, in wüster Überdosierung aber tödliche Natriumchlorid. Es heißt, man könne sich auf der gesättigten Salzlösung treiben lassen. Den Kopf sollte man aber besser an der Luft lassen. Doch das ist Lucca M zu brav. Sein “Fun im Toten Meer“, so der Titel dieses Teils, ist ein wilder, nicht ungefährlicher Sprung. Synchron.

 

Die Vogelfrauen, hier oben das zweite Bild von rechts, erinnern an frühere Motive, etwa “Lady in Red“, wegen der markanten Hals-Brust-Nippel-Linie, die den Blick auf sich zieht, und der Farbkombination aus Rot und Weißgrau. Doch erneut geht Lucca M über Bekanntes hinaus. Die Vogelfrauen sind Zwitterwesen und Zwillinge, ergänzen sich zu einem umkehrbaren Schattenwurf, der Gestalt und Umgebung gegeneinander kippen lässt. Unten Mensch mit Menschenschädeln, oben Vogel mit Vogelschädeln.

 

Die gegenüberstellende Kombination macht es notwendig, hier nicht zehn einzelne Bilder zu sehen, sondern ein aus zehn einander ergänzenden Teilen bestehendes Gesamtwerk. Der Menschenschädel setzt sich gleich rechts daneben im Honky Tonk fort, stempelhaft genau als nasenloses Nasenschild. In der Hochhausschlucht lockt das Schädelbild in die gemütliche Musikkneipe – ich werde gleich wehmütig und denke an das Cafe Schädel in der Preysingstraße zurück. Auch die Tierschädel aus den Vogelfrauen finden ihre Entsprechung weiter rechts, nun aber nach unten versetzt, nach vorne in der natürlichen Funktion als Tragegerüst aus dem Bild herausdrahtend. Es ist vielleicht ein Getränk, das man in der Honky-Tonk-Bar bestellt: Orange Bull. Von den Vogelfrauen hat sich der Orange Bull vielleicht Flüüüügel geliehen, aber zum Einsatz kommen sie hier nicht. Die Farbe kommt vermutlich vom Salz des Toten Meers – denn Salz brennt orange.

 

Dieser Zusammenhang rahmt die untere Reihe ein, in die sich auch noch die Gegenüberstellung aus den Vogelfrauen in das splitternde, graue Bild “Seitensprung“ geflüchtet hat. Da geht etwas kaputt, oder es findet etwas zusammen. Doch wir finden in Heinz Morstadts Gesamtwerk auch Hoffnung, links oben, vom toten Baum umrankt und doch satt grün: “Am Ende das Licht“. Wir werden paarweise vervielfältigt in den zwölf “Short Cuts“, und aus der Vervielfältigung der gestempelten Skulls  entsteht als Symbol für sinnliches Leben “Monroe“ mit dem roten Mund, ein Mund noch röter als die frühere “Lady in Red“. Doch wir wissen, dass mit der Monroe etwas nicht stimmt. Ihre Lebensfreude ist unsere Projektion auf sie – innerlich trägt sie tatsächlich den Tod in sich. So wirft Lucca M gefährliche Fragen auf, vor allem in der mittleren Achse.

 

Bin ich eigentlich mein eigener Herr? Tut mein Leib, was ihm mein Geist befiehlt? Wenn nicht, dann bin ich vielleicht die Marionette des “Puppenspielers“, so der Titel des mittleren unteren Bildes. Aber wenn schon, dann muss ich mich auf mein Hirn verlassen. Um es zu verbessern, kann ich mich elektronisch erweitern. Heute mit Smartphone, morgen mit Platinen in der grauen Masse – vielleicht um Facebook zu bedienen. Aber wer dient dann wem? Ist mein Schädel lediglich der Aufbewahrungsort für Daten, sodass mich dereinst Computer ersetzen? Bei aller Fröhlichkeit der Farben: Lucca M macht auch nachdenklich. Und gerade das mittlere obere Bild, “Neues Leben blüht aus den Ruinen“, verweist sowohl auf seine früheren Werke zurück als auch weiter in die Zukunft.